Dies ist ein Angehörigenbericht über Kommunikation und Sterbevorbereitung.
Mein Großvater wurde mit einem schweren Schlaganfall ins Klinikum eingeliefert. Mit seinen damals knapp 87 Jahren einer der älteren Patienten. Der Schlaganfall hatte die linke Hirnseite, somit Sprachzentrum getroffen, seine rechte Seite war gelähmt und nur noch manchmal war er bei Bewußtsein - hatte sogenannte Wachphasen. Weiter lief das Hirnwasser nicht ab und die Einblutung war schnell und intensiv. Selbstverständlich hatten wir mit unseren Eltern bzw. Großeltern über den Tod und den Weg unterhalten und die Wünsche meines Großvaters waren innerhalb der Familie bekannt. Zur Verdeutlichung, er hatte stets gesagt, nie an Maschinen, keine verlängernden Maßnahmen, wenn keine Aussicht mehr da ist.
Meine Mutter hatte meinen Großvater von zu Hause an begleitet und ich kam mit meiner Großmutter nach. Glücklicherweise erhielt er ein Einzelzimmer und das Pflegepersonal kümmerte sich rührend. Die Eingangsuntersuchungen hatte er hinter sich und die nächsten Untersuchungen, sprich eine weitere Betrachtung des Hirnschadens, sollten im Nachmittag folgen. Zwischenzeitlich kam eine Ernährungsberaterin, die bei einem solchen Patienten zwar nicht mehr viel beraten kann, doch auch ihre Existenzberechtigung braucht. Erstmal erhielt mein Großvater eine Nasensonde zur weiteren Ernährung und stabilisierende Medikamente. Für die zweite Untersuchung am ersten Tag mußten wir mehrfach nachfragen, da die Kommunkation unter den Ärzten es soweit nicht schaffte. Die angesetzte Aufenthaltsdauer eines solchen Falls beträgt zwischen 10 bis 14 Tage. Es kam wie es kommen mußte und er bekam eine Lungenentzündung. Wir erfuhren dies an sich nur beiläufig über das Pflegepersonal. Er mußte alle paar Stunden gedreht werden und es war von meiner Familie bis auf wenige Stunden stets jemand anwesend. Abwechselnd hielten meine Mutter und ich Nachtwache bei ihm. Nicht zu vergessen ist meine Großmutter, die nun nach 65 Jahren Ehe ihren Mann sterben sah und die ebenso viel Aufmerksamkeit von uns erhielt.
Letztendlich war es vom ersten Tag her absehbar und es war nur noch eine Frage der Zeit.
Er wurde von einer jungen Ärztin betreut, die schlicht und einfach mit unserer intensiven Fürsorge überfordert war und wir nicht einfach das Standardprozedere abnahmen. Das einfache Ziel ist nämlich dem Patienten eine Magensonde zu verpassen und weiterzugeben, wohin egal. Als wir mit ihr versuchten ein offenes Gespräch zu führen über Lebenserwartung, -qualität, Wünsche des Patienten, Sinn einer Magensonde, weitere Untersuchungsmöglichkeiten, sahen wir ihr mehr als deutlich an, daß sie mit der Situation überfordert war und sie nur ihren Standard mit dem Ziel folgte die Magensonde zu setzen. Weiteren Untersuchungen wie Hirnströme messen oder nochmal eine Aufnahme des Hirnschadens, um festzustellen, wie weit die Einblutung vorangeschritten war, waren nicht mehr vorgesehen. Da sie über die Lebenserwartung keine Aussage treffen wollte und die Qualität ja ersichtlich war, konnte und wollte sie nichts dazu sagen, um sich auch letztlich selbst zu schützen. Damit sie aus unserem Zimmer kam, holte sie uns eine Informationsbrochüre mit Einwilligungsbestätigung für die Magensonde und sagte, falls es dann noch Fragen geben sollte, sei sie für uns da. Sieh selbst sah eine Magensonde nicht als lebensverlängernde Maßnahme an.
Die erste Woche verging, mein Großvater erhielt Krankengymnastik und sie vermied es uns über den Weg zu laufen. Zwischenzeitlich ging es meinem Großvater sehr schlecht, er hatte starke Schmerzen und die sogenannten Wachphasen von unter einer Minute, während dieser er die Augen aufschlug und sich ein wenig umschaute, wurden weniger. Montags war Visite und Chefarzt gab sich die Ehre mit seinem Gefolge. Nun hofften wir auf eine besseren Austausch, doch klassischerweise mußte ich ihn erstmal bitten mit uns Deutsch zu sprechen. Selbstverständlich verfolgte er auch das Ziel eine Magensonde einzusetzen, da noch von einer gewissen Lebenserwartung auszugehen sei und sich das Hirn neu ordnen könnte. Damit könnte sich dann die Lebensqualität wieder ändern, doch es benötige alles seine Zeit. Auf meine Frage, wie die Chancen stehen, daß sich bei einem 87jährigen Mann andere Bereiche des Hirns neue Aufgaben übernehmen und seit wann sich die Hirnzellen neu bilden können, da kam ein Blick, wie von einer Kuh wenn es blitzt. Nebenbei erfuhren wir auch, das am Wochenende es sehr kritisch wegen der Lungenentzündung war, doch er es ja gut überstanden habe. Auch er sah eine Magensonde nicht als lebensverlängernde Maßnahme an.
Er wies seine junge dauerlächelnde Ärztin an, sich doch nochmal mit uns über die Magensonde zu unterhalten. In diesem Gespräch setzte sie uns die Pistole auf die Brust, wenn wir die Magensonde nicht einwilligen, könnten wir die "Vormundschaft" verlieren. Zwischendurch wurden wir unterbrochen, da ja die Visite lief und sie nichts zu ihren Patienten sagen konnte. Wie konnte das Gespräch so lange dauern?
Glücklicherweise hat unser Hausarzt Zeit für uns und wir hatten ein langes Gespräch mit ihm. Zwischenzeitlich hatten wir einen Pflegeplatz gefunden und uns mit dem Heimleiter verständigt.
Wir wurden mittlerweile tagtäglich von der Ärztin besucht und zu einer Enscheidung gedrängt. Wir hatten nur so lange Zeit gehabt, da wir auf die gerichtliche Nachricht gewartet haben für die "Vormundschaft".
Nach knapp 10 Tagen haben wir ihn aus dem Klinikum geholt. Wir sind seinem Wunsch gefolgt und haben ihn sterben lassen mit Würde. Er hat noch seinen Bruder und seine Schwester gesehen und ist kurz darauf verstorben. Meine Großmutter hat dabei seine Hand gehalten und wir haben ihm es versucht so leicht und schmerzfrei zu machen, wie es uns möglich war.
Wie wir nach dem Klinikumaufenthalt erfahren haben, hätte er noch eine maximale Lebenserwartung von drei Monaten gehabt, doch das hatte man uns nicht sagen wollen. Sonst hätte es die Erfolgsqote nicht so geschönt und den Standardprozeß der Magensonde hätten wir sofort abgesagt. So haben wir ihn ja auf unseren Wunsch rausgeholt, welches auch von der Ärztin vermerkt wurden ist.
Eine der wirklich großen Schwächen dieser Abteilung ist die Kommunikation. Offene und ehrliche Gespräche mit Angehörigen werden nicht geschult. Zwischenmenschlichkeit und Feingefühl gehört nicht zur Ausbildung - sofern man es noch vermitteln muß. Sterbevorbereitung ist bestimmt kein angenehmes Thema und in der Statistik macht sich ein Todesfall auch nicht gut, doch es gehört nun mal einfach zum Beruf.
Nebenbei, die hygienischen Zustände in unserem Vorzeigeklinikum sind eine echte Überraschung. An der Lampe fehlte eine Abdeckung und so sah man eine zentimeterdicke Staubschicht. Die Toiletten sind unbeschreiblich, glücklicherweise kann Mann dabei stehen.
Leider ist in Deutschland Sterbebegleitung und -hilfe ein heikles Thema. Unsere niederländischen Nachbarn haben da ein besseres Verständnis.
Die Wünsche eines Menschen sollten geachtet werden, gerade in aussichtslosen Fällen, wo ein Mensch nicht mehr die Möglichkeit hat, mit Würde und Selbstbestimmt sein Leben in die Hand zu nehmen.
1 Kommentar
Ein Zusatz, ich danke jedem einzelnen Arzt und Ärztin von Herzem!!